"Flingern-Nord ist zum Kotzen langweilig"

  • Auf coolibri.de gibt's ein Interview mit Raoul Festante vom T-Shirt-Label "L’Idealista" über seine leider gestern geendete Ausstellung "Beware of Yuppie Monsters" im heaven 7, das ich euch nicht vorenthalten will. Vor allem folgende Passage finde ich doch sehr spannend:


    coolibri: Wodurch lässt Du Dich inspirieren?
    Raoul Festante: Definitiv durch meine Umwelt, aber auch durch alltägliche Dinge oder tagespolitische Geschichten, die mich bewegen. Das Yuppie-Motiv war eines der ersten, die ich umgesetzt habe. Ich bin vor zwei Jahren aus einem sehr schönen, bunten, quasi Kreuzberg-in-Miniatur-Viertel in Hannover nach Flingern-Nord zu meiner Freundin gezogen. Das war schon eine Veränderung, da ich vorher sehr tief verwurzelt war in Hannover-Linden. Flingern-Nord ist total anders, viel gesetzter, es gibt wenig lebendige, gemeinsame Stadtteilkultur, habe ich das Gefühl. Gerade in meiner Ecke viele Werber, Anwälte, Lehrer, Mammis und Pappis, dazwischen ein paar Alkis und Obdachlose, die sich aber an eine unsichtbare Grenze halten und sich nur selten in das Gehege der Anderen verirren. Alles so nebeneinander und auch auf dem Weg, immer schicker und exklusiver zu werden. Also zum Kotzen langweilig.


    [...]Dieser ganze unheimliche Krimi namens Finanzkrise, steigende Mieten, Gewalt gegen türkische Demonstranten, Verarmung und Borniertheit von einer Klasse, die sich als Leithammel aufspielen wollen. Das sind Dinge, die mich wütend machen. Verkackte Schönheitsideale im Fernsehen, die Dummheit und Kritiklosigkeit oder, noch schlimmer, die antrainierte Angepasstheit von jungen Menschen an das Leistungsprinzip. Es ist alles zum Kotzen, alles läuft falsch, Maya hat uns voll im Griff und das muss sich ändern, denn so kommen wir alle unter die Räder.


    Meine Meinung dazu: :thumbup:


    Das komplette Interview findet ihr unter coolibri.de. Weitere Infos zu Raul's Projekten gibt's unter http://www.lidealista.net/ und https://www.facebook.com/Lidealista

  • Bullshit.... dann soll er doch nach Berlin! und er spricht von Hannover Linden, ich lach mich tot. Gerade der Mix derzeit in Flingern ist doch interessant. Klar darf es jetzt nicht nur wie befürchtet, gutsituierte anziehen aber ansonsten? Kann mich seiner Meinung keineswegs anschließen. ...

  • Ganz so zum Kotzen langweilig finde ich Flingern nicht. Das Publikum dort ist zumindest recht bunt durchmischt, wenn auch teilweise ziemlich gesettled. Ich wüsste aber auch nicht, wo da Abends was los ist. Da hat Bilk deutlich mehr zu bieten. Der kleine vietnamesische Sandwichladen auf der Ackerstraße ist aber klasse.


    "...noch schlimmer, die antrainierte Angepasstheit von jungen Menschen an das Leistungsprinzip."



    Da wird einem tatsächlich ein bisschen Bange, was da für eine kritiklose Masse an angepassten Ja-Sagern nachkommt. Die Mär von der Finanzkrise, unsicherer Zukunft, etc. hat voll eingeschlagen. Alle geben Vollgas für den Bausparvertrag und Altersvorsorge.

  • "...noch schlimmer, die antrainierte Angepasstheit von jungen Menschen an das Leistungsprinzip."


    Hat sicher auch etwas mit den Eltern zu tun, und was man so vorlebt.
    Aber wenn man unbedingt stromlinienförmige Wirtschaftsdrohnen erzeugen möchte, die bereits im
    Kindergartenalter die gewünschten Skills besitzen, um im Konkurenzkampf um die Karrierleiter zu
    punkten, dann bitte. Ich befürchte nur, die Realität könnte etwas anders sein, als es die Retortenplanung vorsieht.

  • Beitrag von Edelweisspirat ()

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  • ganz ehrlich: berlin ist eine interessante stadt, lebenserhaltungskosten sind (noch) relativ niedrig, es gibt eine lebendige subkultur und für eine großstadt finde ich die menschen dort angenehm nicht-abgehoben. daher also garnicht abwegig die idee.


    ich wohne jetzt seit knapp 2 jahren in flingern nord und ich habe das gefühl/den eindruck: es gibt hier keine mischung. es gibt welten, die aufeinander treffen aber eigentlich im begriff sind, immer weiter auseinander zu driften. die ackerstraße mit den "bunten" boutiquen wo sich das "bunte" publikum trifft, ist eine geschäftstraße wo ich um 21 uhr selten jugendliche rumlungern und bier trinken sehe. junge familien, ja die gibts hier, ok. was ich ansonsten beobachte sind aber eher krasse gegensätze. auf der einen seite ethisch-korrekte biopreise für gut betuchte und 500 meter enfernt methadon ausgabe und fifty fifty verkäufer die sich im winter gerne mal einen ganzen tag vorm netto für fünf verkaufete ausgaben die füße und hände abfrieren. am schönsten war das bild, als im letzten jahr ein demozug gegen gentrifizierung durch flingern nord ging den ich leider verpasste. was für eine ruhe das war, als wäre nichts gewesen. die leute tranken weiter ihren rotwein zum abendessen und ließen la dolce vita weiter laufen. als ich mich vor der kirche in nähe der hoffeldstraße mit einigen protestkids unterhielt kam eine ältere frau vorbei. jetzt kommt ein dummer spruch, dachte ich noch. "ihr könnt gerne mal in unseren innenhof kommen, dass ist alles so schrecklich bieder hier geworden."


    die birkenstraße, ja die hätte für mich potential, die grenzen zu verwischen und begegnungen und stadtteilkultur zu ermöglichen aber hier werden ja ebenfalls ab 21 uhr die bordsteine hochgeklappt, ausser man geht vielleicht in eine spielothek oder in irgendeine kneipe und trifft dort dann vielleicht ein paar ur-flingeraner die mit der entwicklung schon abgeschlossen haben, bevor sie überhaupt zu ende ist. hier irgendetwas wildes, unkonventionelles auf die beine zu stellen kostet vor allem viel geld und ausdauer. der hamburger friseur mit angeschlossenem club auf der ackerstraße bemängelte dass bei einer stadtteilerkundung welche ich mitgemacht habe mal - und kurze zeit später war sein laden auch dicht. die exklusive modeboutique nebenan gibt es soweit ich weiß aber immer noch.


    günstig raum zu finden für kreative projekte oder irgendwo unterzukommen ist hier kaum möglich. falls jemand auf die idee kommt, die hinterhöfe für ein paar quadratmeter fläche abzuklappern - forget it. alles dicht.


    so sieht das hier aus meiner sicht aus und so wird es sich vermutlich auch weiter entwickeln. es sei denn, uns geht hier aufgrund einer weiteren finanzkrise so das geld aus wie den griechen vielleicht, dann dürfte das mit dem aufschwung und der gemütlichkeit schnell wieder vorbei sein und die hybrid-panzer vor den haustüren wieder weniger werden. solange gilt: aber: "jeder ist seines glückes schmied."


    was sagen die ur düsseldorfer dazu?


    für mich geht die diskussion ja über flingern hinaus bis zum wahren platz an der sonne: le flair was denkt hier darüber? jedes mal wenn ich mit der S-bahn aus essen oder duisburg daran vorbeifahre, muss ich an huxleys brave new world denken und wie ich dann gerne John the Savage wäre, der irgendwas an die Wände von dieser sauberen Fassade schmiert. Ich bin gespannt, wie sich der stadtteil weiter entwickeln wird da ich glaube, dass sich dort eine menge menschen für den platz an der sonne tief verschulden. was, denke ich, auch für viele objekte in flingern nord gilt.


    soweit mal einige gedanken zu dem interview.

  • Auch auf Facebook gibt's interessante Kommentare zu diesem Thema:


    Zitat

    Walter E. Go: flingern nord? überteuert,über-gentrifiziert und eigentlich völlig uninteressant...


    Zitat

    Caco Gesamtkunstwerk: für die größten langweiler, gibts vieles, das zum kotzen langweilig ist. wenn dem so ist, dann ändert es doch, ihr zum kotzen langweiligen. klotzen, statt motzen ...


    Zitat

    Tom de Toys: LANGEWEILE ist ja ein hochkarätiges klassisches philosophie-thema manch ein denker behauptet, der mensch müsse ZUERST "gelangweilt" werden, die existenzielle langeweile zulassen, um dadurch erst echtes interesse am leben zu entdecken. vielleicht als wechsel vom habens- zum seinsmodus, wie es Erich Fromm in seinem bestseller darstellte? DANACH ist jeder stadtteil spannend, weil es immer was zu erleben gibt, wenn man MIT SICH SELBST(GENÜGSAM) unterwegs ist... naja, das war jetzt mal ein versuch, etwas abwegiges zu bringen, damit das kommentarfeld nicht langweilig ist abgesehen davon: ein herzliches helau aus eller süd, DEM wirklich ultralangweiligsten superduper premium de luxe bezirk, hahahaha, hier herrscht totenstille und das leben IST ein ponyhof

  • Die August-Overtüre von Hans Hoff im Biograph passt auch gut hier hin:


    “Wo ist die Jugend? Wo bleibt die Jugend? Was kann ein junger Mensch in Düsseldorf tun? Außer lernen und funktionieren und Klamotten kaufen. Wie sieht die Zukunft aus, wenn man hier geboren wird, wenn einen die sportlichen Eltern im Babyjogger die Rheinpromenade entlang schieben? Was bemerkt man als Winzling von der angeblichen Krisenkonfusion der Zehnerjahre? Wird man gleich angepasst? Oder hat man eine Chance, seine jugendliche Revolutionssucht zu leben? Oder werden all jene, die jetzt noch zu klein sind, um artikulierte Widerworte zu geben, niemals lernen, was Revolution bedeutet?
    Es ist schwer, anders zu werden, wenn alle so gleich sind. Gleich sind die meisten hier. Gleich reich, gleich schön, gleich gültig.”

    http://www.biograph.de/gleich-…ich-schoen-gleich-gueltig


    Für mich ist Flingern Nord ein nettes Wohnviertel mit ein paar guten Restaurants, Galerien, netten Hinterhöfen, Herrenkneipen und Geschäften, in die nie jemand geht. Abends kann man zumindest ins Zakk. Ansonsten ist Flingern ziemlich verschlafen. Vielleicht haben die Leute einfach keinen Bock ihre Job-Fitnessstudio-Sofa-Fernseh-Routine zu verlassen. damit ist man schon ziemlich eingenommen. Vielleicht fehlen aber auch gute Konzepte. Bei der Preislage ist es natürlich schwer mal etwas auszuprobieren.



  • Deloro, danke für das Zitat bzw. den Hinweis zum Biograph Text. Ich denke, der trifft das Problem im Kern ganz gut und wenn ich mir das zum zweiten oder zum dritte mal durchlese - passt alles. Ich sehe es wie der Beitrag vor mir. Es fehlen die Konzepte zur Belebung des Stadtteils, vor allem fehlt es an günstigen Möglichkeiten für die Entfaltung von Quergeistern. Das ist für mich sogar der zentrale Knackpunkt. Ich wünsche mir deshalb eine massive Zunahme von Studenten-WGs und Freiräume zum Austoben, Musikmachen, kreativ sein und rumspinnen. Nur, werden die hier überhaupt eine Wohnung bekommen?

  • Ich wohne nun schon seit einigen Jahrzehnten in Flingern ,ich für meinen Teil kann das Statement " Flingern Nord ist zum Kotzen langweilig" nicht teilen.
    Natürlich wünsche ich mir auch ein paar Verbesserungen die auch in Richtung "Raum schaffen für Querdenker" oder was den Wohnungsmarkt betrifft.
    Wir haben hier das Zakk ,das Consum für unsere Musiker , die Bar 95 mit ihren regelmäßigen Veranstaltungen, der gesamte Flinger Broich ist eine Partymeile irgendwie ist hier immer was los , von kreativen Sportveranstaltungen bis Musikfestivals. Ich will hier auch nicht alles aufzählen , so zum "Kotzen langweilig" wie beschrieben, ist Flingern nicht.
    Der Wandel in Flingern macht mir eher Sorgen , Flingern ist Hip, Flingern ist Schick ... das Arbeiterviertel ist ein Tummelplatz für Bobos geworden..Mietpreise schnellen in die Höhe und verdrängen die Alteingesessenen . Flingern verliert seinen Charme . Ein Charakter ,das Lebensgefühl eines Stadteils ist fest verbunden mit seinen Bewohnern.
    Im Moment ist der Wandel ein bisschen viel und er geht schnell. Altbauwohnungen die in der Vergangenheit 400 Euro Miete gekostet haben kosten jetzt über Nacht 700 Euro .


    Ich für meinen Teil , möchte nicht das sich Flingern großartig ändert ...bis auf meine kleine Wunschliste .