"A fight for love and glory"
Der Völkermordexperte Gunnar Heinsohn im Gespräch über Krieg und Demographie
Gunnar Heinsohn, 1943 in Gdynia (Polen) geboren, gründete das "Rafael-Lemkin-Institut für Völkermord- und Xenophobieforschung" in Bremen. Er versteht sich als Erforscher der Grundlagen der Zivilisation - in seinen Büchern versucht er zu erklären, wie das Eigentum (samt seinen Ableitungen Geld und Zins) und der Monotheismus (samt seinen Ableitungen: Verbot der Kindstötung und Kritik am Menschenopfer) in die Welt gekommen sind. Sein neuestes Interesse gilt der Demographie. Die Wissenschaft von den Bevölkerungszahlen liefert zwar plumpe Erklärungen, die er aber für richtig hält. Hannes Stein hat mit Gunnar Heinsohn in Berlin gesprochen.
DIE WELT: Warum führen die Amerikaner diesen Krieg?
Gunnar Heinsohn: Die Amerikaner rechnen damit, dass ungefähr 750 Millionen junge Männer in der Dritten Welt, die heute noch Knaben sind, in den kommenden 15 Jahren ins Kampfalter treten. 250 Millionen von ihnen werden zu Hause gesellschaftliche Positionen finden, mit denen sie zufrieden sein können. 150 Millionen weitere wird man im Westen unterbringen müssen, weil man hier Geburtenraten hat, die gegen ein Kind pro Frau tendieren. Das lässt etwa 350 Millionen junge Männer übrig, die keine Positionen finden.
DIE WELT: Mit welchen Folgen?
Heinsohn: Die werden ihre Heimatländer destabilisieren. Das heißt, sie werden sich aufteilen in "Kämpfer für die Gerechtigkeit" hier und "Kämpfer für Gesetz und Ordnung" dort und Bürgerkriege führen. Von den 70 Ländern mit überschüssigen jungen Männern führen schon heute 60 Bürgerkriege. Das ist entsetzlich, aber das Töten in diesen Ländern betrifft die Bürger des Westens nicht.
DIE WELT: Was geht es dann die Amerikaner an?
Heinsohn: Ungefähr zehn Prozent der Länder, die ihre Überschüsse an jungen Männern durch Bürgerkriege und Völkermorde abbauen, werden versuchen, über ihre Grenzen hinauszugehen und kleine Reiche zu bilden. Die Bildung von Imperien durch Krieg ist völkerrechtswidrig - das wissen die alle -, deswegen werden sie versuchen, das mit Hilfe von Massenvernichtungsmitteln zu erreichen. Die Amerikaner bereiten sich auf fünf bis sechs solch kleiner Reichsbildungen vor. Dabei fürchten sie nichts mehr, als dass sie gegen zwei Möchtegern-Imperien gleichzeitig kämpfen müssen.
DIE WELT: Warum wird also jetzt der Irak zum Ziel?
Heinsohn: Weil er der klassische Fall einer versuchten Reichsbildung ist. Seine Bevölkerung hat sich seit dem Machtantritt Saddam Husseins von zwölf auf 24 Millionen Menschen verdoppelt. Jetzt ist die Stunde gekommen, diesen Reichseroberer zu stoppen, bevor er Atomwaffen hat. Das müssen die Amerikaner so überzeugend tun, dass die nächsten fünf oder sechs Kriege vielleicht gar nicht stattfinden.
DIE WELT: Was aber, wenn diese Kriege doch stattfinden?
Heinsohn: Die Amerikaner haben 30 Millionen Knaben. Da draußen sind 300 Millionen, die keine Positionen finden. Die Amerikaner können ihren einzelnen Sohn nicht unaufhörlich nach draußen schicken, um dort zehn junge Männer vom Kämpfen abzuhalten. Deshalb hoffen sie, dass sie gegen die zehn dort draußen niemals gleichzeitig Krieg führen müssen - dass sich einen nach dem anderen vornehmen können. Der Plan ist also, einen Kandidaten auszuschalten (das nennt man "win"), dass man dann drei oder vier Jahre Ruhe hat (das nennt man "hold"), und dass erst dann der nächste Krieg kommt. Damit stünde man, was die Manpower betrifft, immer nur einer gegen einen. Der Irak-Krieg ist in dieser win-hold-win-Kette der erste.
DIE WELT: Gegen wen werden sich die nächsten Kriege richten?
Heinsohn: Syrien hat einen alten Reichsbildungsplan, der Israel, Palästina, Jordanien und Stücke des Irak einschließt. Iran hat einen schiitischen Reichsbildungsplan: Es will Teile des Irak und von Afghanistan haben. Pakistan würde sich gern Teile Aghanistans und Indiens herausschneiden. Auch in Afrika gibt es ein halbes Dutzend potenzieller Bürgerkriegsgebiete, bei denen aber viel weniger die Gefahr besteht, dass sie nach außen überschwappen.
DIE WELT: Ist dies ein einziger großer Krieg gegen den Islam?
Heinsohn: Islamische Länder haben zurzeit den höchsten Überschuss an jungen Männern. Von 1900 bis 2000 haben sich Moslems von 150 Millionen auf 1200 Millionen vermehrt - also um mehr als den Faktor acht. Diese Moslems stecken schon jetzt mitten im Blutvergießen durch Bürgerkriege. Dabei kämpfen Moslems, die gesellschaftliche Positionen haben, gegen andere, die keine Positionen haben und sagen: "Wir sind aber viel bessere Moslems!" In dem Moment, wo sie diesen Kampf nach draußen tragen, sind sie mit der demokratischen Führungsmacht konfrontiert.
DIE WELT: Gibt es keine unblutige Lösung?
Heinsohn: Bisher kennt die Geschichte keine. Jedenfalls nicht bei einem Überschuss zweiter, dritter und vierter Söhne, die keine Stellung finden. Wohlgemerkt, das Problem ist nicht, dass diese Söhne hungern, sondern dass sie gesellschaftliches Ansehen wollen. Es geht um Wichtigkeit - "It s still the same old story, a fight for love and glory." Wir haben es mit zornigen jungen Männern zu tun. Da gibt es nur die Alternative: entweder Bürgerkrieg oder transnationaler Krieg. Erst wenn wieder einigermaßen akzeptable gesellschaftliche Positionen da sind, tritt Frieden ein. Die Alliierten bekommen gerade jetzt zu spüren, dass Saddam eine Million frischer junger Männer ins Feuer schicken kann, die zu Haue eigentlich niemand braucht und die sich durch Heroismus beweisen wollen. Ob hingegen Amerika auch nur 1000 Gefallene aushalten kann, muss sich erst erweisen.
DIE WELT: Geht es den Amerikanern nicht um etwas viel Einfacheres, nämlich um Öl?
Heinsohn: Von 100 Tonnen Öl, die die Amerikaner verbrauchen, kommen nur noch zehn aus dem Nahen Osten. Aus dem Irak keine einzige. Die Amerikaner planen, sich etwa bis 2007 auch vom saudi-arabischen Öl zu trennen, um sich künftig aus dem atlantischen Becken und aus Russland zu versorgen.
DIE WELT: Warum sind amerikanische und britische Soldaten dann damit beschäftigt, die Ölfelder im Irak zu sichern?
Heinsohn: Die Amerikaner sind daran interessiert, dass ein befreiter Irak eine Wirtschaft hat, damit er seine schnell wachsende Bevölkerung ernähren kann.
DIE WELT: Wird dieser Krieg heimlich nur geführt, um den zionistischen Staat Israel und seine Politik zu schützen?
Heinsohn: In dieser Frage haben die Amerikaner eine ganz andere Sichtweise als die Europäer. Sie haben erkannt, dass gar nicht die Juden das Problem sind. Das Problem liegt vielmehr in Palästina selbst, das über 30 Jahre lang die höchste Geburtenrate der Welt hatte (vier Söhne pro Frau). Die vorgeschobene Rechtfertigung ist also nicht der wahre Grund für den Hass der Palästinenser. Wenn es keine Juden gäbe, wäre Palästina heute so etwas wie Algerien, wo Araber sich gegenseitig umbringen; dort sterben 50 Mal so viele Menschen wie im Palästinakonflikt.
DIE WELT: Ist dies ein völkerrechtswidriger Krieg?
Heinsohn: 1948 verabschiedete die Uno ihre Konvention gegen den Völkermord, die 140 Nationen einschließlich Deutschland unterschrieben haben. Sie verpflichtet dazu, jeden Völkermord entweder im Vorfeld zu unterbinden oder ihn wenigstens zu stoppen oder im nachhinein die Täter zu bestrafen. Allein der Artikel 1 dieser Konvention reicht als Legitimation für eine militärische Intervention vollkommen aus.
DIE WELT: Warum sagt George W. Bush das dann nicht?
Heinsohn: Er sagt es verdeckt. Jede seiner Reden enthält eine Liste der genozidalen Verbrechen Saddam Husseins mit einer Million Opfern - eine Million gefallener Soldaten ist dabei nicht gezählt.
DIE WELT: Wieso beruft er sich nicht offen auf die Konvention gegen den Völkermord?
Heinsohn: Dann würde er die Amerikaner in Zugzwang bringen. Sie müssten anschließend bei jedem Völkermord einmarschieren, was sie schlicht nicht können - ich erinnere noch einmal an die 30 Millionen gegen die 300 Millionen jungen Männer dort draußen.
DIE WELT: Warum steht Deutschland in diesem Konflikt gegen Amerika?
Heinsohn: Deutschland ist militärisch unfähig und verkauft nun seine Impotenz als Keuschheit. Regierung und Opposition sind einander in dieser Frage sehr nahe, weil ja beide auf der Basis der real existierenden Wehrlosigkeit agieren müssen. Deshalb bauen sie auf die Uno und auf Kofi Annan, der 1994 in verantwortlicher Stellung den Völkermord in Ruanda möglich gemacht hat. Das zeigt, wie verzweifelt Regierung und Opposition im Grunde sind.
Gunnar Heinsohn verfasste das weltweit erste
"Lexikon der Völkermorde" (Rowohlt, Reinbek 1998)
Im September erscheint bei Orrell Füssli in Zürich:
"Söhne und Weltmacht"